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PORT: Ein sicherer Hafen für die Gesundheit

Im deutschen Gesundheitssystem wird um Lösungen gerungen, auch künftig für alle eine qualitativ hochwertige medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. Als Schlüssel gelten: Mehr Prävention, weniger Sektorentrennung, eine starke Pflege. Das PORT Gesundheitszentrum in Stuttgart realisiert einige dieser Ideen und setzt dabei auf Multitalente – die Community Health Nurses.

Paul-Philipp Hanske | Juli 2025
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Björn Hänssler

Eine zentrale Aufgabe der Community Health Nurse Hanna Müller ist die individuelle Beratung von Patientinnen und Patienten.

Hanna Müller, Community Health Nurse am PORT Gesundheitszentrum in Stuttgart, bekam Nachricht von einem schwierigen Fall im Einzugsgebiet des Zentrums. „Eine Nachbarschaftshilfe hatte uns um Unterstützung gebeten, weil bei einer 67-jährigen Patientin alle bisherigen Haushaltshilfen abgesprungen waren, niemand wollte mehr bei ihr arbeiten“, berichtet sie. Also sah sich Müller die Sache an. „Die Frau war zunächst sehr abweisend, begrüßte uns mit den Worten: ‚Ich habe aber nur eine halbe Stunde Zeit.‘ Am Ende blieben wir anderthalb Stunden.“ Der Grund für die vermeintlich abwehrende Haltung der Seniorin war schnell gefunden: „Sie hat einen Schlaganfall hinter sich, kann das Haus nicht verlassen, leidet unter Schmerzen – unter anderem, weil sie ihre Medikamente falsch einnimmt. Niemand hatte ihr erklärt, was der Unterschied zwischen Akut- und Retardpräparaten ist.“

Die Community Health Nurse (CHN) ging mit der Seniorin ihre Wohnung durch und schaute mit ihr gemeinsam, wie sich ihre Situation verbessern lässt. Sie organisierte beispielsweise eine Tasche, damit sie ihren Joghurt vom Kühlschrank zum Sofa tragen kann. Sie zeigte ihr auch, wie sie die Barriere zu ihrem Balkon überwinden und diesen so wieder nutzen kann. „Solche Probleme sieht man nur, wenn man da ist.“

Beim PORT Gesundheitszentrum Bosch Health Campus in Stuttgart sind solche Hausbesuche nicht nur möglich, sie gehören zum Konzept. Oder wie Mike Teske, der Leiter des Zentrums, es ausdrückt: „Es klingt banal, ist es aber nicht: Im Mittelpunkt unseres Handelns stehen die Menschen. Und Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse.“ 

Die Idee hinter PORT ist eigentlich ganz einfach: Unter einem Dach arbeiten verschiedene Gesundheitsberufe zusammen zum Wohl der Patient:innen. Es wird nicht nur eine hausärztliche Versorgung angeboten, sondern auch eine professionelle Pflege, psychosoziale Dienste und Beratung zu gesundheitlichen Themen. Community Health Nurses wie Hanna Müller sind dafür da, die gesamte Lebenssituation der Patient:innen im Auge zu haben. 

Was Menschen wirklich brauchen

Dr. Katja Vonhoff ist Leiterin des Robert Bosch Centrums für Innovationen im Gesundheitswesen. Sie und ihr Team begleiten die bundesweit zwölf PORT Gesundheitszentren inhaltlich und leisten finanzielle Unterstützung mit Mitteln der Robert Bosch Stiftung, die das PORT-Konzept 2017 entwickelt hat („PORT“ steht für Patientenorientierte Primär- und Langzeitversorgung). Die Einführung der Community Health Nurses in Deutschland orientiert sich an internationalen Vorbildern, wie sie in Kanada und Schweden erfolgreich etabliert sind. In Stuttgart übernehmen sie eine koordinierende und unterstützende Rolle, die über die traditionelle Pflege weit hinausgeht. Vonhoff erklärt: „Die Community Health Nurse ist eine zentrale Figur. Sie ist akademisch qualifiziert und verbindet medizinisches Verständnis mit sozialräumlicher Kenntnis. Sie kennt den Stadtteil, kann beraten, begleiten – weit über das hinaus, was klassische Pflege leistet. Und genau diese Rolle braucht es, um Menschen wirklich zu erreichen.“

Bevor ein PORT-Zentrum entsteht, findet eine umfassende Analyse der Umgebung statt. So bietet das PORT-Zentrum am Bosch Health Campus eine umfassende gesundheitliche Versorgung für rund 22.500 Einwohner:innen im Zentrum Stuttgarts. Die Analyse zeigte einen hohen Bedarf an niedrigschwelligen Angeboten für ältere Menschen, chronisch Kranke und sozial benachteiligte Gruppen. Mike Teske erklärt: „Man baut kein PORT-Zentrum ins Blaue. Vor jeder Gründung steht eine Sozialraumanalyse: Wer lebt hier, was fehlt? In einem Viertel braucht es Hebammen, in einem anderen geriatrische Angebote. Entscheidend ist: Man füllt keine Struktur mit Inhalten, sondern entwickelt Strukturen aus dem Bedarf heraus.“ 

Wenn eine Patientin aus der Geriatrie entlassen wird, lernt sie unsere Community Health Nurse oft noch auf Station kennen – und wird dann zu Hause weiter begleitet. Das schafft Kontinuität, die es so bisher nicht gab.

Eine weitere Besonderheit des PORT-Zentrums in Stuttgart: Es ist am Robert Bosch Krankenhaus, Standort City, angesiedelt und ist damit unmittelbar verzahnt mit der stationären Versorgung. Katja Vonhoff erklärt: „Auf diese Weise kann die Nachsorge gleich in direkter Nähe zum Krankenhaus geschehen. Der Hausarzt im PORT-Zentrum kann sich im Zweifel schnell und unkompliziert mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus kurzschließen, Pflege kann bei Bedarf nahtlos ineinander übergehen.“ Wie das konkret aussieht, erklärt PORT-Leiter Mike Teske: „Wenn zum Beispiel eine Patientin aus der Geriatrie mit Unterstützungsbedarf entlassen wird, lernt sie unsere Community Health Nurse oft noch auf Station kennen – und wird dann zu Hause weiter begleitet. Das schafft Kontinuität, die es so bisher nicht gab.“

Eine neue Form der Zusammenarbeit 

Dem allen liegt ein ganzheitlicher, also sektorenübergreifender Ansatz zugrunde. Mike Teske: „Wir arbeiten hier nicht nach dem Motto: ‚Dafür bin ich nicht zuständig.‘ Unser Ziel ist es, Menschen ganzheitlich zu begegnen. Das Team ist multiprofessionell und auf Augenhöhe organisiert. Wir verstehen uns nicht als Arztpraxis plus Anhang, sondern als ein gemeinsames PORT-Team. Das heißt konkret: Der Hausarzt erfragt bei den Community Health Nurses die Hintergründe von Patient:innen und umgekehrt. Ziel ist, gemeinsam die individuell passende Versorgung zu schaffen.“

So überaus sinnvoll das alles ist – PORT Gesundheitszentren sind bisher die Ausnahme in Deutschland. Erst an zwölf Standorten gibt es sie, mit jeweils unterschiedlichen Trägern. Hier setzt Katja Vonhoff an: „Was in Deutschland oft fehlt, ist die Brücke zwischen Pilotprojekt und Regelversorgung. Unsere Rolle ist genau das: Transformationsbegleitung. Wir fördern nicht nur die Umsetzung, wir kommunizieren auch – in Richtung Politik, Öffentlichkeit, Gesundheitswesen. Denn nur so wird aus Innovation auch Strukturwandel.“

Was wird gezahlt und was nicht?

Ein zentrales Hindernis für die flächendeckende Implementierung von PORT-Zentren ist die aktuelle Gesetzeslage. Viele der angebotenen Leistungen, wie präventive Maßnahmen und koordinierende Tätigkeiten der Community Health Nurses, sind nicht im Regelleistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten – und somit nicht abrechnungsfähig. Diese Dienste werden mit den Fördermitteln des PORT-Programms querfinanziert. 

Wie sinnvoll die Leistungen sind, erläutert Community Health Nurse Hanna Müller: „Ich arbeite inzwischen viel weniger mit den Händen, sondern mit dem Kopf und mit dem Herzen. Es geht um Beziehungsarbeit, Gespräche, Beratung und Netzwerkaufbau – und nicht mehr um das Abarbeiten medizinischer Tätigkeiten. Wir begegnen Menschen oft, bevor sie richtig krank werden. Das ist echte Gesundheitsvorsorge.“

Vorsorgen statt Heilen

Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, Geschäftsführer des Bosch Health Campus, hat das große Ganze im Gesundheitswesen im Blick. Er hat sich eingehend mit der Arbeit der Community Health Nurses und deren Finanzierung beschäftigt und fordert: „Solange zentrale Leistungen wie Beratung und Gesundheitslotsenfunktion nicht im Katalog der Regelversorgung auftauchen, bleiben PORT-Zentren Pilotprojekte. Was wir brauchen, ist eine gesetzlich verankerte Finanzierung dieser neuen Versorgungsformen.“ 

Für die Einführung von Community Health Nursing in der Regelversorgung bedarf es neben der Finanzierung auch mehr Master-Studiengänge in Deutschland nach internationalem Vorbild sowie rechtlicher Anpassungen. Damit CHNs ihr volles Potenzial entfalten können, braucht es zudem eine erweiterte Heilkundeübertragung.

PORT-Zentren sind Investitionen in eine gesündere Zukunft. Wenn wir Prävention und Gesundheitsförderung nicht intensivieren, bleiben wir im teuren Reparaturmodus stecken.

Natürlich entstehen durch Community Health Nurses zunächst einmal Mehrkosten. Wenn durch deren Arbeit aber Patient:innen dabei geholfen wird, ein gesünderes Leben zu führen, hat das eben langfristige Effekte – und diese nicht zu nutzen, wäre fahrlässig. Wenn die Menschen nicht nur bei der Einnahme ihrer Medikamente Unterstützung bekommen, sondern auch bei Themen wie Ernährung, Rauchentwöhnung, Bewegung oder sozialer Gesundheit, trägt das zur Erhaltung oder Wiederherstellung ihrer Gesundheit bei. Langfristig, da ist sich Alscher sicher, werden dadurch Kosten gesenkt: „Es ist eine einfache Rechnung: PORT-Zentren sind Investitionen in eine gesündere Zukunft. Wenn wir Prävention und Gesundheitsförderung nicht intensivieren, bleiben wir im teuren Reparaturmodus stecken. Und fragen sie mal Menschen, was ihnen lieber ist: geheilt zu werden oder gesund zu bleiben?“

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