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Community Health Nurses für eine stärkere Primärversorgung

Um die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu verbessern, braucht es Veränderungen und neue Konzepte – wie die flächendeckende Einführung von Community Health Nurses (CHN), akademisch ausgebildeten Pflegefachkräften. In seiner aktuellen Empfehlung fordert der Wissenschaftsrat eine Stärkung der wissenschaftlichen Qualifizierung von Gesundheitsfachberufen wie CHN und eine attraktivere Berufsgestaltung. In anderen Ländern spielen CHN bereits eine wichtige Rolle in der Primärversorgung. Nun soll auch Deutschland nachziehen.

Alexandra Wolters | November 2023
CHN-WR-Empfehlungen
Karolina Grabowska / Pexels

Für eine langfristig starke Primärversorgung spielen Community Health Nurses als akademisch qualifizierte Fachkräfte eine entscheidende Rolle.

In diesem Jahr machen die ersten Studierenden in Deutschland ihren Master in „Community Health Nurse“. Als akademisch ausgebildete Pflegefachkräfte sollen sie in Zukunft eng vernetzt in Gemeinden und Primärversorgungszentren arbeiten, wo sie Patient:innen versorgen und pflegen, sich für Gesundheitsförderung und Prävention einsetzen und die Menschen in ihrem Leben begleiten.

Der Bosch Health Campus arbeitet zusammen mit der Agnes-Karll-Gesellschaft und dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe daran, das Berufsbild der Community Health Nurse in Deutschland zu etablieren. Gemeinsam wurde ein Aufgaben- und Leistungsprofil entwickelt, auch als Basis für die Curricula der neuen Masterstudiengänge an der Universität Witten-Herdecke, der katholischen Stiftungshochschule München und der Evangelischen Hochschule Dresden.

Deutschland fängt also nicht bei null an, wenn der Wissenschaftsrat (WR) in seiner Empfehlung vom 20. Oktober 2023 auf eine Akademisierung der Gesundheitsfachberufe drängt. Eine Quote von 20 Prozent hatte der Rat bereits 2012 gefordert. In der Pflege liege diese aktuell bei 2,5 Prozent, so der WR mit Verweis auf die Zahlen der HQGPlus Studie 2022. Um weitere akademische Angebote zu ermöglichen, müssen feste Strukturen für die Entwicklung von Studienangeboten geschaffen werden, so eine Ansage an die Bildungs- und Gesundheitspolitik. Ein anderer wichtiger Punkt sei die anschließende bessere Nutzung der Kompetenzen. Akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen müssen ihr Potenzial auch in der Praxis anwenden können. Hierfür gilt es, berufliche Zielpositionen zu entwickeln und dadurch Karrierewege in der Versorgung und Wissenschaft aufzuzeigen.

Mehr Kompetenzen für Studierende in der Pflege

Auf mehr Anwendungsmöglichkeiten und eine attraktivere Berufsausbildung zahlt auch das Pflegestudiumstärkungsgesetz ein. Mitte Oktober hat der Bundestag beschlossen, dass hochschulisch qualifizierte Pflegende künftig heilkundliche Aufgaben übernehmen dürfen. In einem ersten Schritt sollen ab 2025 Kompetenzen für eine selbstständige Ausübung von Heilkunde in die Pflegeausbildung an Hochschulen integriert werden. Das bedeutet, dass die Studierenden in bestimmten Bereichen auch ohne ärztliche Anweisung tätig werden dürfen.

Die im Auftrag der Robert Bosch Stiftung erstellte Publikation „Community Health Nursing – Wegweiser für die Etablierung in Deutschland“ beschreibt, was rechtlich bislang möglich ist, welche Beiträge CHN aber vor allem auch in Zukunft leisten können, wenn die rechtlichen Bedingungen dafür geschaffen werden. Denn um ihr Potential richtig entfalten und ihre erlernten Kenntnisse umfassend, konsequent und eigenständig anwenden zu können, müssen den CHN weitere Handlungskompetenzen zugesprochen werden. Bislang ist in den meisten Fällen eine Delegation durch Ärzt:innen nötig, damit die Pflegefachpersonen heilkundliche Tätigkeiten durchführen dürfen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, noch in 2023 einen gesetzlichen Vorschlag einzubringen, der die Heilkundeübertragung einfacher machen soll. So können CHN dann auch Aufgaben übernehmen, die bislang Ärzt:innen vorbehalten sind. Damit soll das Berufsbild der CHN gestärkt und verankert werden, dessen Einführung in Deutschland bereits im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgehalten ist.

Community Health Nurse

Die Bezeichnung „Community Health Nurse“ mag etwas sperrig klingen. Aber sie setzt im Vergleich zu den Begriffen Gemeindekrankenschwester und Gemeindekrankenpfleger den Fokus auf Health, auf die Gesundheit. Zu dem Berufsbild der Community Health Nurse (CHN) gehört so auch nicht nur die medizinische Versorgung erkrankter Patient:innen. Die an Hochschulen qualifizierten Pflegefachpersonen begleiten die Menschen in der Gemeinde in allen Lebenslagen und Altersspannen und unterstützen sie in der Bewältigung ihres Alltags.

Community Health Nurses sind durch ihre fachliche Kompetenz dazu in der Lage, Bedarfserhebungen zu Gesundheitsproblemen von Einzelnen und Gruppen durchzuführen und verhaltenspräventive Angebote zu konzipieren. Sie beraten zu Gesundheitsthemen wie Prävention, vermitteln Gesundheitskompetenz und helfen dabei, den Bedarf und die Versorgungssituation einzuschätzen sowie notwendige Maßnahmen wie zum Beispiel ambulante Behandlungen, Pflege- oder auch Sozialleistungen zu organisieren und zu koordinieren.

 

CHN als Profis für Primärversorgungszentren

Studien, Arbeiten und Pilotprojekte weisen auf die Wirksamkeit und Möglichkeiten durch den Einsatz von CHN hin. Mit der Entwicklung der „PORT – Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung“ hat die Robert Bosch Stiftung bereits seit einigen Jahren einen Ansatzpunkt geschaffen, um akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte wie die CHN umfassend einzusetzen. Diese Zentren bieten Versorgung aus einer Hand an, die von Gesundheitsfachpersonen gesteuert und koordiniert wird.

Um die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu verbessern und dem rasch wachsenden Bedarf an Pflege und Unterstützung gerecht zu werden, braucht es unter anderem eine erweiterte, gestärkte Primärversorgung. Die flächendeckende Einführung und Etablierung des Berufsbildes der Community Health Nurse kann ein Schritt in diese Richtung sein. Die umfassend hochschulisch qualifizierten Pflegefachkräfte können zum Beispiel dafür sorgen, dass Menschen möglichst lange – und möglichst gesund – in ihrem Zuhause und ihrer gewohnten Umgebung leben können. CHN übernehmen in den Gemeinden Hausbesuche für Routineuntersuchungen, Beratungen und koordinierende Aufgaben – die Erweiterung der Kompetenzen in der Pflege durch eine Heilkundeübertragung stellt eine Grundvoraussetzung für diese Tätigkeiten dar.

CHN in anderen Ländern

Wie der Einsatz von Community Health Nurses in der Primärversorgung funktionieren kann, zeigen Beispiele aus anderen Ländern, in denen CHN ein fester und bewährter Bestandteil des Gesundheitssystems sind. Bei der Fachtagung „Community Health Nurses für Deutschland: Impulse aus der internationalen Praxis“, die im Juni 2023 stattfand, berichteten Vertreter:innen aus Schweden, Kanada und Slowenien von den jeweiligen Versorgungssituationen in ihren Ländern.

Der Allgemeinmediziner Jens Wiethage erklärte in diesem Rahmen die bedeutende Rolle der CHN in seiner Wahlheimat Schweden. Hier sind die akademisch ausgebildeten Pflegefachkräfte in den medizinischen Versorgungszentren, aber auch bei telefonischen Hotlines oder Chats erste Ansprechperson für alle Anfragen zum Thema Gesundheit. „Oftmals können die CHN bereits an dieser Stelle soweit mit Tipps zur Behandlung und zum Verhalten helfen, dass die Patienten gar keinen Arzt sprechen müssen“, berichtete der gebürtige Deutsche in seinem Vortrag. In Schweden seien die CHN schon lange etabliert und hätten in der Gesellschaft einen ähnlichen Stellenwert wie Ärzte und Ärztinnen. Die Menschen in Schweden würden bei vielen Anliegen dem Pflegepersonal vertrauen, weil es entsprechend ausgebildet sei und Verantwortung übernehme. „Ich empfinde das als unheimlich effizient, dass viele Patientinnen und Patienten überhaupt nicht zu mir kommen müssen“, sagt der Allgemeinmediziner und empfiehlt mit Blick auf die Etablierung von CHN im deutschen Gesundheitssystem: „Die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland  müssen sich daran gewöhnen, dass es auch andere kompetente Menschen gibt, die vor allem in der Gemeinde näher an den Patientinnen und Patienten dran sind und oftmals Gesundheitsthemen viel besser vermitteln können.“

Der Wunsch nach Veränderung besteht – dies zeigt sich beispielsweise in einer repräsentativen Forsa-Umfrage des Bosch Health Campus, die anlässlich des Deutschen Pflegetages 2023 durchgeführt wurde: Dort gaben mehr als 70 Prozent der Befragten an, dass mehr Verantwortung an Pflegefachpersonen übertragen werden sollte.