Große Defizite bei der Gesundheitskompetenz in Baden-Württemberg
Eine neue, repräsentative Studie macht deutlich: In Baden-Württemberg verfügt mehr als die Hälfte der befragten Erwachsenen (54,7 Prozent) über eine niedrige Gesundheitskompetenz und hat demnach große Schwierigkeiten dabei, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und im Alltag anzuwenden. Die Studie wurde im Rahmen des dritten Health Literacy Survey Germany (HLS-GER 3) durchgeführt (Veröffentlichung Oktober 2025) und vom Bosch Health Campus gefördert.
Wer ist besonders betroffen?
Vor allem Menschen mit niedrigem Bildungsstand, geringem Einkommen, chronischen Erkrankungen und höherem Alter sind besonders gefährdet. In diesen Gruppen liegt der Anteil mit niedriger Gesundheitskompetenz bei mehr als 75 Prozent. Die Ergebnisse unterstreichen damit auch eine soziale Schieflage in der Gesundheitsversorgung.
„Die Ergebnisse der Studie sind ein Weckruf – und zugleich eine Bestätigung für unseren Ansatz am Bosch Health Campus. Mit innovativen Versorgungsmodellen, digitaler Aufklärung und patientenzentrierter Forschung leisten wir Pionierarbeit, um Menschen dabei zu unterstützen, ihre Gesundheit aktiv mitzugestalten“, betont Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, Geschäftsführer des Bosch Health Campus.
„Gesundheitskompetenz ist kein Privileg, sondern eine Grundvoraussetzung für Prävention, Teilhabe und Selbstbestimmung.“
Wo liegen die größten Probleme?
Die Befragten gaben an, besonders häufig Schwierigkeiten zu haben bei der Bewertung von Gesundheitsinformationen. Knapp Dreiviertel der 521 befragten Erwachsenen (73 Prozent) haben Probleme, Informationen zu beispielsweise medizinischen Behandlungen richtig einzuordnen. Beim Anwenden sowie Verstehen und Finden von Informationen stoßen rund 54 und rund 46 bzw. 45 Prozent an ihre Grenzen.
Außerdem fällt es knapp 63 Prozent der Befragten schwer, digitale Gesundheitsinformationen überhaupt angemessen zu nutzen. Besonders kritisch: 72 Prozent davon können nicht sicher einschätzen, ob Inhalte in Medien oder im Internet vertrauenswürdig sind.
„Die Ergebnisse zeigen eindrücklich, wie entscheidend Gesundheitskompetenz für eine gerechte Gesundheitsversorgung ist. Es braucht gezielte Innovationen und sektorenübergreifende Anstrengungen, um alle Menschen – unabhängig von Alter, Bildung oder sozialem Status – dazu zu befähigen, informierte Gesundheitsentscheidungen zu treffen“, sagt Dr. Katja Vonhoff, Leiterin des Robert Bosch Centrums für Innovationen im Gesundheitswesen am Bosch Health Campus.
Navigationale und digitale Gesundheitskompetenz besonders schwach
Die digitale Gesundheitskompetenz ist insgesamt sehr schwach ausgeprägt: Zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) haben Schwierigkeiten, mit digitalen Gesundheitsinformationen umzugehen. Besonders herausfordernd ist es für viele, die Vertrauenswürdigkeit und Unabhängigkeit dieser Informationen richtig einzuschätzen. Betroffen sind vor allem Menschen ab 65 Jahren sowie sozial benachteiligte Gruppen, die mit diesen digitalen Hürden stärker konfrontiert sind.
Noch ausgeprägter sind die Herausforderungen bei der navigationalen Gesundheitskompetenz – also der Fähigkeit, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden und mit den vorhandenen Informationen umzugehen. Über 80 Prozent der Befragten geben an, hier Schwierigkeiten zu haben, etwa beim Verständnis der Systemabläufe oder beim Finden von Rechten und Unterstützungsangeboten.
„Für weite Teile der Bevölkerung stellt das Gesundheitssystem bis heute eine ‚Blackbox‘ dar, die schwer zu durchschauen und zu verstehen ist. Seine Ursache hat das zu einem erheblichen Anteil in der Komplexität und Unübersichtlichkeit des Gesundheitssystems, aber auch darin, dass es vielfach noch immer schlicht an Information zur Orientierung und Navigation im Gesundheitssystem fehlt“, sagt Prof. Dr. Doris Schaeffer, Seniorprofessorin und Leiterin des Interdisziplinären Zentrums für Gesundheitskompetenzforschung, Universität Bielefeld.
Folgen für Gesundheit und Versorgungssystem
Menschen mit niedriger Gesundheitskompetenz leben nicht nur ungesünder, sie belasten auch das Versorgungssystem stärker: Sie bewegen sich seltener, essen weniger gesund, schätzen ihren Gesundheitszustand schlechter ein und nutzen das Gesundheitssystem häufiger.
Die Ergebnisse zeigen: Gesundheitskompetenz in Baden-Württemberg ist nicht gleich verteilt und eng mit gesundheitlichen Chancen und Risiken verknüpft.
Mögliche Handlungsansätze könnten sein:
- Stärkung der digitalen Gesundheitsbildung,
- bessere Orientierung im Gesundheitssystem,
- mehr niedrigschwellige und verständliche Angebote,
- Fokus auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen.
Baden-Württemberg als Vorreiter
Trotz der nach wie vor alarmierend niedrigen Gesundheitskompetenz unter Erwachsenen in Baden-Württemberg zeigt sich im Vergleich zur letzten bundesweiten Erhebung (HLS-GER 2) eine erste positive Tendenz. Das stimmt vorsichtig optimistisch – sowohl mit Blick auf die zukünftige Entwicklung der Gesundheitskompetenz im Land als auch hinsichtlich der Wirksamkeit der in Baden-Württemberg gestarteten Maßnahmen. Es deutet sich an, dass Baden-Württemberg auf einem guten Weg ist, eine Vorreiterrolle im Bereich Gesundheitskompetenz und Prävention einzunehmen.