Porträt
„Forschungsfreiheit ist ein hohes Gut“
Letztes Jahr kam die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Rahele Tavakoly mit einer Förderung der Alexander von Humboldt Stiftung aus dem Iran nach Deutschland. Am Robert Bosch Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit untersucht die Nachwuchsforscherin, welchen Einfluss Ernährungsmuster auf Erkrankungen wie Depressionen haben.
Dr. Rahele Tavakoly nimmt Daten von Bevölkerungsgruppen, die sich mediterran, vegan oder "westlich" mit vielen ungesunden Komponenten ernähren, und schaut, wie häufig Depressionen bei diesen Gruppen auftreten.
Es duftet in Rahele Tavakolys Küche. In einer großen Pfanne rösten Koriander, Dill, Petersilie, Bockhornklee und Spinat. Später kommen noch Limettensaft, Bohnen und bereits angebratenes Lammfleisch hinzu. „Gormeh Sabzi ist eines der bekanntesten Nationalgerichte in meiner Heimat, dem Iran. Und mein Lieblingsessen“, erzählt die 39-Jährige. Als promovierte Ernährungswissenschaftlerin kennt sie nicht nur den Wert guter Nährstoffe für unseren Körper. Sie weiß auch, dass bestimmte Speisen und Gerichte eine positive Wirkung auf unsere mentale Gesundheit haben. Da sie zum Beispiel Erinnerungen wecken und Wohlbefinden auslösen können. Wenn Rahele Tavakoly Heimweh plagt, besorgt sie sich in einem der iranischen, arabischen oder türkischen Supermärkte in Stuttgart die passenden Zutaten für die Rezepte ihrer Mutter und kocht sich ein Stück Heimat nach Schwaben.
Bis 2023 war Rahele Tavakoly im Iran Assistenzprofessorin für Ernährungswissenschaften, hat dort geforscht und Studierende unterrichtet. Dann bewarb sie sich bei der Alexander von Humboldt Stiftung, die Fördermittel an deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen vergibt, mit denen diese zwei Jahre lang ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei sich aufnehmen können.
Ein Gewinn für die Komplementärmedizin
Die Ernährungsexpertin bekam das Fellowship und kam ans Robert Bosch Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit (RBIM) in Stuttgart. Holger Cramer, der Wissenschaftliche Leiter des Instituts und Professor für die Erforschung komplementärmedizinischer Verfahren an der Universität Tübingen konnte sich sofort eine Zusammenarbeit vorstellen: „Rahele Tavakoly ist eine hervorragende Wissenschaftlerin, die mit ihrer Forschungsarbeit ein Gewinn für unser Institut ist.“ Das RBIM beschäftigt sich unter anderem mit verschiedenen nicht medikamentösen Methoden, die Menschen selbst anwenden können, um gesund zu bleiben und zu werden. „Da ist Ernährung ein ganz wichtiger Punkt“, erklärt Holger Cramer einen Beweggrund, die Iranerin an das RBIM zu holen. Ein anderer ist für ihn die Möglichkeit, Rahele Tavakoly bei ihrer Karriere in der Wissenschaft zu unterstützen.
Seit anderthalb Jahren lebt sie nun in Stuttgart. „Hier kann ich meine Forschung nach meinen Vorstellungen vorantreiben“, erklärt Tavakoly. Sie beschäftigt sich damit, welche Auswirkungen die Ernährung auf die Gesundheit und den Verlauf von Krankheiten hat, und bringt dies bevorzugt mit Komplementärmedizin in Verbindung. Es sei unheimlich spannend, welche Einflüsse die Ernährung auf unsere körperliche und mentale Gesundheit habe. Um die Auswirkungen wissenschaftlich zu überprüfen und Handlungsempfehlungen geben zu können, bringt Tavakoly in sogenannten Meta-Analysen bestehende Studien und Daten zusammen und wertet diese aus. Ganz konkret geht es aktuell um epidemiologische Studien zu Ernährungsmustern und dem Auftreten von Depressionen. Dabei vergleicht die Forscherin unter anderem Daten zu Bevölkerungsgruppen, die sich mediterran, vegan oder "westlich" mit vielen ungesunden Komponenten ernähren, mit Angaben, wie häufig Depressionen in den einzelnen Gruppen auftreten. „Laborergebnisse lassen darauf schließen, dass eine entzündungsfördernde Ernährungsweise mit viel rotem und industriell verarbeitetem Fleisch auch zu mehr Depressionen führt“, sagt Holger Cramer.
„Wir teilen Ideen, Daten und Erkenntnisse und betrachten Forschungsfragen von verschiedenen Seiten. Das bringt uns alle nach vorne.“
Ist das in der Praxis, im Alltag der Menschen wirklich so? Das versucht Rahele Tavakoly herauszufinden. Ihr eigener Alltag ist zurzeit geprägt vom Lesen wissenschaftlicher Paper, statistischen Analysen und dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Bereichernd empfindet die Iranerin dabei den interdisziplinären Geist, der am Bosch Health Campus in Stuttgart herrscht. „Wir teilen Ideen, Daten und Erkenntnisse und betrachten Forschungsfragen von verschiedenen Seiten. Das bringt uns alle nach vorne.“ Eine so intensive Teamarbeit und damit verbundene Motivation habe sie bei ihrer bisherigen Arbeit vermisst.
Neugierig auf das deutsche Gesundheitssystem
Die Förderung durch die Alexander von Humboldt Stiftung ist auf zwei Jahre ausgelegt. Rahele Tavakoly möchte länger in Deutschland bleiben. „Forschungsfreiheit ist ein hohes Gut, das hier ebenso geschätzt wird, wie die Arbeit von Frauen und Nachwuchswissenschaftlerin“, so ihr Eindruck. Sie möchte gerne noch mehr über das deutsche Gesundheitssystem erfahren und ihre akademische Arbeit und Karriere fortsetzen, um in Zukunft Forschungsprojekte leiten und Nachwuchswissenschaftler:innen unterstützen zu können.
Der 39-Jährigen gefällt die deutsche Kultur und der Umgang der Menschen miteinander. Wenn sie nicht gerade intensiv Deutsch lernt, besucht Rahele Tavakoly in Stuttgart und Umgebung Festivals und Ausstellungen, geht in die Natur oder mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus. Sie ist neugierig, auch was die Kulinarik angeht. „Zur Kultur einer Region gehört auch immer das lokale Essen. Egal, wo ich bin, ich probiere es immer gerne“, so die Forscherin. Sie ist positiv überrascht, wie viele vegetarische Gerichte auf deutschen Speisekarten zu finden sind. In Schwaben haben es ihr allerdings vor allem Maultaschen und Würstchen angetan. „Die ist nicht das gesündeste Essen“, weiß die Ernährungsexpertin, „aber wirklich sehr lecker.“ Genuss spiele eben auch eine wichtige Rolle bei der Ernährung und für die Lebensqualität – genau wie die Möglichkeit, frei zu entscheiden, sich zu bilden und zu forschen.