Porträt
„Forschungsfreiheit ist ein hohes Gut“

Rahele Tavakoly kam im Februar 2024 aus dem Iran nach Stuttgart. In ihrer Heimat wurde die promovierte Ernährungswissenschaftlerin in ihrer Forschungsfreiheit stark eingeschränkt. Mit Unterstützung der Alexander von Humboldt Stiftung arbeitet sie nun am Robert Bosch Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit und untersucht, welchen Einfluss Ernährungsmuster auf Erkrankungen wie Depressionen haben.

Alexandra Wolters | April 2025
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Christoph Schmidt

Dr. Rahele Tavakoly beschäftigt sich damit, welche Auswirkungen die Ernährung auf die Gesundheit und den Verlauf von Krankheiten hat. 

Es duftet in Rahele Tavakolys Küche. In einer großen Pfanne rösten Koriander, Dill, Petersilie, Bockhornklee und Spinat. Später kommen noch Limettensaft, Bohnen und bereits angebratenes Lammfleisch hinzu. „Gormeh Sabzi ist eines der bekanntesten Nationalgerichte in meiner Heimat, dem Iran. Und mein Lieblingsessen“, erzählt die 39-Jährige. Als promovierte Ernährungswissenschaftlerin kennt sie nicht nur den Wert guter Nährstoffe für unseren Körper. Sie weiß auch, dass bestimmte Speisen und Gerichte eine positive Wirkung auf unsere mentale Gesundheit haben. Da sie zum Beispiel Erinnerungen wecken und Wohlbefinden auslösen können. Wenn Rahele Tavakoly Heimweh plagt, besorgt sie sich in einem der vielen arabischen oder türkischen Supermärkte in Stuttgart die passenden Zutaten für die Rezepte ihrer Mutter und kocht sich ein Stück Heimat nach Schwaben. 

Die Wissenschaftlerin ist sehr froh, in Deutschland zu sein und am Robert Bosch Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit (RBIM) am Bosch Health Campus in Stuttgart arbeiten zu können, auch wenn sie ihre Familie und Freunde im Iran vermisst. „Hier kann ich meine Forschung nach meinen Vorstellungen vorantreiben und selbst entscheiden, wie und woran ich arbeite“, erklärt Tavakoly. Bis 2023 war sie an der Kerman University of Medical Science Assistenzprofessorin für Ernährungswissenschaften, hat Studierende unterrichtet und geforscht. Sie beschäftigt sich damit, welche Auswirkungen die Ernährung auf die Gesundheit und den Verlauf von Krankheiten hat, und bringt dies bevorzugt mit Komplementärmedizin in Verbindung, die mit nicht medikamentösen Methoden Erkrankungen behandelt und medizinische Therapien begleitet. 

„Leider ist die Situation im Iran für Forschende und vor allem für Frauen in der Wissenschaft nicht besonders gut“, erzählt Tavakoly von ihren Erfahrungen. „Andere wollten dort für mich entscheiden, was ich forsche, wie ich arbeite.“ Als sie realisierte, dass sie in ihrer Heimat nicht mehr ohne Unterdrückung und Zensur lehren, forschen und leben konnte, beschloss sie, den Iran zu verlassen. 

Ein Gewinn für die komplementärmedizinische Forschung beim RBIM

Die Ernährungsexpertin nahm Kontakt zu Holger Cramer auf, Professor für die Erforschung komplementärmedizinischer Verfahren an der Universität Tübingen und wissenschaftlicher Leiter des Robert Bosch Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit in Stuttgart. Er konnte sich sofort eine Zusammenarbeit vorstellen: „Rahele Tavakoly ist eine hervorragende Wissenschaftlerin, die mit ihrer Forschungsarbeit ein Gewinn für unser Institut ist.“ Das RBIM beschäftigt sich unter anderem mit verschiedenen nicht medikamentösen Methoden, die Menschen selbst anwenden können, um gesund zu bleiben und zu werden. „Da ist Ernährung ein ganz wichtiger Punkt“, erklärt Holger Cramer einen Beweggrund, die Iranerin an das RBIM zu holen. Ein anderer ist für ihn die Möglichkeit, dadurch die Forschungsfreiheit für Menschen wie Rahele Tavakoly zu unterstützen. 

Finanziert wird die Stelle der Ernährungswissenschaftlerin von der Philipp Schwartz Initiative der Alexander von Humboldt Stiftung. Sie vergibt Fördermittel an deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen, mit denen diese zwei Jahre lang ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei sich aufnehmen können, die von Krieg und Verfolgung bedroht sind. 

Seit gut einem Jahr lebt Rahele Tavakoly nun in Stuttgart. Hier kann sie ohne Risiko und Unterdrückung an ihrer Forschung arbeiten. Es sei unheimlich spannend, welche Einflüsse die Ernährung auf unsere körperliche und mentale Gesundheit habe. Um die Auswirkungen wissenschaftlich zu überprüfen und Handlungsempfehlungen geben zu können, bringt Tavakoly in sogenannten Meta-Analysen bestehende Studien und Daten zusammen und wertet diese aus. Ganz konkret geht es aktuell um epidemiologische Studien zu Ernährungsmustern und dem Auftreten von Depressionen. Dabei vergleicht die Forscherin unter anderem Daten zu Bevölkerungsgruppen, die sich mediterran, vegan oder eher fleischlastig ernähren, mit Angaben, wie häufig Depressionen in den einzelnen Gruppen auftreten. „Laborergebnisse lassen darauf schließen, dass eine entzündungsfördernde Ernährungsweise mit viel rotem und industriell verarbeitetem Fleisch auch zu mehr Depressionen führt“, sagt Holger Cramer.

Wir teilen Ideen, Daten und Erkenntnisse und betrachten Probleme von verschiedenen Seiten. Das bringt uns alle nach vorne.

Ist das in der Praxis, im Alltag der Menschen wirklich so? Das versucht Rahele Tavakoly herauszufinden. Ihr eigener Alltag ist zurzeit geprägt von Lesen, statistischen Analysen und dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Bereichernd empfindet die Iranerin dabei den interdisziplinären Geist, der am Bosch Health Campus in Stuttgart herrscht. „Wir teilen Ideen, Daten und Erkenntnisse und betrachten Probleme von verschiedenen Seiten. Das bringt uns alle nach vorne.“ Eine so intensive Teamarbeit und damit verbundene Motivation habe sie im Iran vermisst. 

Neugierig auf das deutsche Gesundheitssystem

Die Förderung durch die Philipp Schwartz Initiative ist auf zwei Jahre ausgelegt. Rahel Tavakoly möchte länger in Deutschland bleiben. „Forschungsfreiheit ist ein hohes Gut, das hier ebenso geschätzt wird, wie die Arbeit von Frauen und Nachwuchswissenschaftlerin“, so der Eindruck der Iranerin. Sie möchte gerne noch mehr über das deutsche Gesundheitssystem erfahren und ihre akademische Arbeit und Karriere fortsetzen, um in Zukunft Forschungsprojekte leiten und Nachwuchswissenschaftler:innen unterstützen zu können.  

Der 39-Jährigen gefällt die deutsche Kultur und der Umgang der Menschen miteinander. Wenn sie nicht gerade intensiv Deutsch lernt, besucht Rahele Tavakoly in Stuttgart und Umgebung Festivals und Ausstellungen, geht in die Natur oder mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus. Sie ist neugierig, auch was die Kulinarik angeht. „Zur Kultur einer Region gehört auch immer das lokale Essen. Egal, wo ich bin, ich probiere eigentlich immer alles“, so die Forscherin. In Schwaben haben es ihr vor allem Maultaschen und Würstchen angetan. „Die ist nicht das gesündeste Essen“, weiß die Ernährungsexpertin, „aber wirklich sehr lecker.“ Genuss spiele eben auch eine wichtige Rolle bei der Ernährung und für die Lebensqualität – genau wie die Möglichkeit, frei zu entscheiden, sich zu bilden und zu forschen.

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